SCHWEIZERISCHE ZEITSCHRIFT FÜR HYDROLOGIE
BIRKHÄUSFR VERLAG BASEL Vol.XXIV 1962 Fasc.2 (Sonderabdruck)
Wechsel der Biozönose beim Übergang von Fluss zu Stausee
Change of Biozonosis at the interchange going fromthe river to the reservoir/lake
von W. I. SHADIN, Leningrad
(Zoologisches Institut der Akademie der Wissenschaften der UdSSR)
(nur Deutsch - only German. All diagrams included)
Unter Biozönose verstehen wir eine historisch entstandene Gruppierung von Organismen, die durch gemeinsamen Aufenthaltsort und gemeinsame ökologische, im Adaptierungsprozess der Organismen an das Milieu gebildete Hauptmerkmale verbunden sind.
Die Erforschungsmethoden der Biozönose sind verschiedenartig. Bei Flussuntersuchungen werden gute Ergebnisse durch Studium der Dynamik der Flussbiozönose im Zusammenhang mit der Dynamik der hydrologischen Faktoren erzielt.
Derartige Untersuchungen wurden am Fluss Oka (Nebenfluss der Wolga) von der biologischen Oka?Station (E. S. NEiswESTNOWA?SHADINA, 1937) durchgeführt. Hier wurden im Verlauf von 2 Jahren synchron das ganze Jahr hindurch der Bestand und die Verteilung der Bodenbiozönose, das Wasserniveau, die Strömungsgeschwindigkeit, rollende Sedimente und Schwebestoffe studiert. Die Ergebnisse der Untersuchungen sind in Gestalt von biohydrologischen Graphika (Abb. 1 und 2) und Karten der Verteilung der Biozönose (Abb. 3) dargestellt.
Aus allen Abbildungen ist der Zusammenhang der Verteilung und der quantitativen Entwicklung der Bodenfauna von Flüssen mit der Strömungsgeschwindigkeit, dem Grund und den rollenden Sedimenten deutlich zu ersehen.
In geographisch verschieden gelegenen Flüssen unterscheidet sich die Biozönose nicht nur nach dem Artbestand, sondern auch nach der ökologischen Verteilung. Eine einförmige Biozönose kommt in der Natur fast gar nicht vor ? zum Hauptbestand der Biozönose schliesst sich immer eine gewisse Anzahl Organismen anderer ökologischer Natur an. So befinden sich zum Beispiel in der lithorheophilen Biozönose neben den Lithorheophilen auch Phytorheophile und Psammorheophile, in der psammorheophilen Biozönose sind zusammen mit den Psammorheophilen auch Argillorheophile und Pelorheophile vorhanden. Und doch herrschen in jeder Biozönose immer quantitativ die Vertreter der hauptökologischen Gruppe vor, nach der die Biozönose ihre Benennung bekommt (Abb. 4).
In den grossen Flüssen der Ebenen der UdSSR sind über goo/" des Bodens mit psammorheophiler Biozönose besiedelt. Der noch vor kurzem für fast unbewohnt gehaltene Sandboden der Flüsse ist in Wirklichkeit reich an inannigfältiger und zahlreicher psammorheophiler Biozönose, Letztere be steht aus mikro? und makroskopischen, sehr wohl zur Existenz auf Sandkörnern und zwischen ihnen bei Fliesswasser adaptierten Organismen (NEiSWESTNOWA?SHADINA, 1935; LASTOTSCHKIN, 1936, u. a.). In der Sandschicht ist die psammorheophile Biozönose ungleichmässig verteilt, während die obere Schicht des Sandes hauptsächlich von mikroskopischer Fauna bewohnt ist, befinden sich in den tieferen Schichten (bis 20 CM) grosse Oligochäten (Limnodrilus sp. sP., SHADIN, 1948).
Das Leben der rheophilen Fauna in der Sandschicht ist möglich, da im Sande des Flussbodens das mit Sauerstoff gesättigte Wasser mit geringer Geschwindigkeit fliesst (EPSTEIN, 1961). Setzt die Strömung des Wassers aus und entsteht am Boden eine Schlammschicht, so kommen die Oligochäten an die Oberfläche des Grundes, und der Charakter der Biozönose ändert sich (Abb. 5); es entsteht eine pelorheophile Biozönose.
Falls der Flussboden von lithorheophiler oder argillorheophiler Biozönose bewohnt ist, verschwindet beim Aussetzen der Strömung und bei der Verschlammung des Bodens diese Biozönose, und der Rest der lithorheophilen Fauna und Flora findet Obdach an Dämmen, überschwemmten Bäumen und Wasserpflanzen. Dabei finden in den Stauseen der europäischen Flüsse die Wandermuschel Dreissena polymorpha, in den mittelasiatischen Stauseen aber der Schwamm Spongilla carteri weite Verbreitung.
Die phytorheophile Biozönose verwandelt sich allmählich, der Verringerung der Fliessgeschwindigkeit entsprechend (Abb. 6), in eine phytophile Biozönose.
Ist man mit der allgemeinen Gesetzmässigkeit der Veränderung der Biozönose beim Übergang vom fliessenden zum stehenden Wasser be kannt, so kann man einigermassen genau den Bestand der Biozönose in den an verschiedenartigen Flüssen entstehenden Stauseen vorhersagen.
Allein, eine genaue Prognose ist nur für den Teil des Stausees möglich, der vorher Fluss war. Neu überschwemmte Flächen, die anfangs mit einer grossen Anzahl endipes plumosus reductus besiedelt werden, erleiden des weiteren ein verschiedenes Schicksal, je nach dem Vorhandensein dieser oder jener Vertreter von Fauna und Flora im Stausee. Dies steht ebenfalls in direktem Zusammenhang mit dem hydrologischen Regime der Gewässer und der Verteilung der verschiedenen Substrate und Böden.
Die Biozönose des Flussplanktons hängt ebenfalls unmittelbar mit der Strömung des Wassers in den Flüssen zusammen und ändert sich gesetzmässig beim Aufstau des Flusses.
In reissenden Bergströmen fehlt das Phyto? und Zooplankton, es entwickelt sich nur ein Baktericplankton, das hauptsächlich aus Bodenbakterien besteht. Wird der Strom durch einen Damm gesperrt, so vermindert sich infolge Sedimentation zusammen mit den Sandkörnern im entstandenen Staugewässer die Menge des Bakterioplanktons; das Phyto- und Zooplankton aber entwickeln sich in dieser kurzen Zeit nicht, so dass eine allgemeine Verarmung des Wassers in bezug auf das Plankton eintritt.
Falls der Bergfluss einen an Dimension bedeutenden Stausee bildet, (wie zum Beispiel der Chramskoi See im Kaukasus) und die Überschwemmungsseen überschwemmt, entsteht im Stausee ein echtes Phyto- und Zooplankton.
Die Verminderung der Strömung beim Übergang des Flusses aus dem Gebirge in die von einem Damm gesperrte Ebene zieht eine Plankton entwicklung nach sich, die um so üppiger ist, je näher der Fluss an die Sperre herantritt. So erreicht im Dubosarschen Stausee am Fluss Dnjestr die Menge des Zooplanktons in der dem Damm nahen Zone 289000 Exemplare pro m3, während 1oo km vom Damm aufwärts die Menge des Zooplanktons nur 4400 Exemplare pro M3 beträgt.
Die quantitative und qualitative Veränderung des Planktons findet auch in den Stauseen der Flüsse der Ebenen sehr deutlich statt, was am Beispiel des Nowosibirischen Stausees am Fluss Ob (Sibirien) veranschaulicht wird. Während im oberlauf des Stausees Rotatorlen vorherrschen, besteht das Zooplankton im Gebiet in der Nähe des Dammes hauptsächlich aus Cladoceren und Copepoden. Die Biomasse des Zooplanktons im oberen Teil des Stausees, wo eine Strömung des Wassers vorhanden ist, i~t viermal geringer als dieselbe im Gebiet des Dammes, wo die Strömung beinahe fehlt.
Sehr stark wirkt auch die Strömung des Wassers auf die Fischfauna. Beim Aufstau des Flusses wirkt sich das Aussetzen der Strömung zunächst auf die Wanderfische aus, die sich im Flusswasser vermehren: Störe, Lachse, Neunaugen. Unter den Süsswasserfischen leiden beim Aussetzen der Strömung generativ die lithophilen Arten (viele Kaulköpfe und Vimba vimba), die im Sande laichenden Psammophilen (Forelle, Welse des Fernen Ostens) und die Pelagophilen Hypophthalmichtbys, Siniperca chua-tsi und andere.