Fachzeitsehrift für das gesamte Fisehereiwesen
7. Jahrgang Februar 1954 Heft 2
(Aus dem Bundesinstitut für Gewässerforschung und Fischereiwirtschaft,
Scharfling am Mondsee, 0.?0.)
Probleme des Fischerei Und Landschaftsschutzes beim Bau von Flußkraftwerken
Die wirtschaftlich-technische Arbeit des Wasserbaues muß unter den Aspekten
der Natur- und Kultur - Ganzheit gesehen werden.
The problems of Fisheries and protecting the Landscape from the construction of Hydro Electric Power Plants. The commercial-technical work for the building of constructions in water ways must be seen from the wholeness of natural and cultural characteristics.
von Dr. Wilhelm Einsele, Scharfling am Mondsee
(nur Deutsch - German only. Most of text corrected)
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"Wasser, unser wichtigster Rohstoff", ist ein Thema geworden, das heute nicht mehr nur diejenigen angeht, die unmittelbar damit zu tun haben, sondern schlechthin jeden. Vor allem in den hochindustrialisierten Ländern wird es mehr und mehr zum vordringlichsten wirtschaftlichen und kulturellen Problem. In Osterreich ist die Situation gegenwärtig im allgemeinen noch erträglich; an (sich mehrenden) Einzelfällen, in welchen diese Grenze bereits überschritten ist,' fehlt es aber auch bei uns nicht.
Obwohl nun der folgende Aufsatz von speziellen fischereiwirtschaftlichen und hydrographischen Problemen handelt, die beim Bau von F1u11kraftwerken auftreten, soll ihm, da auch diese Probleme als Teil eines organischen Ganzen aufzufassen sind, eine allgemeine kulturpolitische, zutreffender kulturphilosophische, Einleitung vorausgeschickt werden. Ihre Aufgabe ist es, im Leser, und vor allem bei denjenigen, die es unmittelbar angeht, jene Grund?Gestimmtheit wachzurufen, welche lebendig sein sollte bei jeder Erörterung technischer oder anderer Fachfragen, die Gewässer und Wasser betreffen.
Dem, was wir mit den allgemeinen kulturphilosophischen Aspekten unseres Themas meinen, hat Frau Dr. PLESKOT in einer Arbeit*) über die Reinerhaltung der flieflenden Gewässer aufrüttelnden und gültigen Ausdruck verliehen. Ihr sei deshalb zunächst das Wort gegeben.
"Der Aufschwung von Naturwissenschaft, Technik und Medizin im vergangenen Jahrhundert hat uns zu 'dem berauschenden Gefühl geführt, die Naturgewalten in beliebigem Ausmaß steuern, nutzen, beherrschen zu können; zu der Annahme, daß alle heute noch bestehenden Grenzen und Schwierigkeiten dabei nur eine Frage der Zeit und der weiteren Entwicklung unseres Wissens seien ' Während die Wirkung der menschlichen Tätigkeit mehr und mehr das Antlitz der Erde bestimmt, bildet sich in uns auch das Vermögen, unseren Blick vom Einzelnen weg auf die Zusammenhänge, das heißt, auf das Ganze, zu richten.
Dem Verständnis für die großen Zusammenhänge in der Natur wird bitterernst nachgeholfen durch das Erlebnis der weiträumigen Folgen unserer Eingriffe in die natürliche Landschaft! Schädlingsinvasionen, Senkung des Grundwasserspiegels, Versteppung und Verkarstung sind heute gefürchtete Schreckgespenste in den menschfichen Kulturlandschaften. Von der Kaninehenplage in Australien bis zu den katastrophalen Bodenerosionen in Amerika geht eine Reihe folgenschwerer Erfahrungen. Und an ihrem Ende steht die neue, unseren Siegesrausch sehr dämpfende Erkenntnis, daß es äußerst riskant ist, in das komplexe Getriebe der Naturkräfte und Naturerscheinungen blind und selbstsüchtig einzugreifen ... Die naive Einteilung der Welt um uns in Nützliches und Schädliches verblaßt vor der verwirrenden Tatsache, daß alles uns schädlich dünkende auch seine nützlichen Auswirkungen hat und alles Nützliche, einseitig protegiert. schweren Schaden stiften kann.
Doch auch dieser Situation beweist sich schließlich wieder der vorwärtsstürmende Menschengeist gewachsen. Mögen die Zusammenhänge auch kompliziert sein, so gilt es eben, mit tiefschürfenderer Fragestellung und mit röflerer Achtsamkeit an sie heranzugehen. "Kreislauf der Stoffe", "Ineinanderwirfen von belebten und unbelebten Naturdingen", "Gleichgewicht in der Natur" sind nun neue Gegenstände des Studiums und "Raumordnung und Landesplanung" das neue Ziel. Es entwickelt sich immer deutlicher das Bewußtsein. daß wir uns nicht mehr ein unkoordiniertes Nebeneinander von beliebigen, individuellen Augenblicksbestrebungen dienenden Maßnahmen leisten können; daß es ? sollen die tiefgehenden Eingriffe in dieNatur, dieMenschenwerk heute bereits bedeutet, überhaupt die Möglichkeit eines längeren Bestandes und eines fruchtbaren Erfolges beinhalten ? unerl'äfllich wird, diese Eingriffe aufeinander abzustimmen und in Einklang zu halten mit jenen der Harmonie alles Seienden..."
G. PLESKOT: Die Reinerhaltung der flieflenden Gewässer -ein kulturelles Problem. (Stipendienarbeit für die österr. Unesco-Kommission. Manuskript.)
Soweit die Worte von Frau Dr. Pleskot, denen wir nur wünschen können, daß sie dort, wo es daraufankommt, zu bewegenden Kräften werden.
Wir wollen uns nun unserem speziellen Thema zuwenden: Flusfikraftwerke, Fischerei- und Landschaftssehutz.
Die Erkenntnis, daß Flußlverbauungen mit zu den schwersten Eingriffen in eine Landschaft gehören, hat sich jetzt wohl allgemein durchgesetzt. Wenn wir im folgenden auf die Gefahren eingehen, die vor allem der Bau von K a n a 1 k r a f t w e r k e n für Flußtäler mit sich bringt, so wollen wir uns nicht nur in Kritik und Alarm verlieren. Es sollen darüber hinaus Wege gezeigt werden, wie der drohenden Landschaftserkrankung wirksam begegnet werden kann.
II
Wird ein Fluß aufgestauf, so vergrößert sich sein Querschnitt oberhalb der Staumauer meist beträchtlich; eine Verzehn? bis Verzwanzigfachung kann als durchschnittlich gelten. Die Vergrößerung der Querschnittsfläche nun hat zwangläufig eine ihr entsprechende Verminderung der Fließigeschwindigkeit zur Folge. Als Folge der verlangsamten Strömung vermehrt sich die Ablagerung: Laufstaue wirken als Klärbecken.
Der systematische hydroelektrische Ausbau von Flüssen endet jetzt in der Regel damit, daß Stau an Stau anschließt.
Der jeweils oberste ist meist innerhalb weniger Jahre mit Ablagerungsmaterial angefüllt. Besonders gefährlich können die Auflandungen beim Staubeginn, an der "Stauwurzel", werden, und zwar deshalb, weil eine Erhöhung der Fluflsohle das umgebende Gebiet mehr und mehr durch Hochwasser gefährdet.
Der verstärkten Ablagerung in einem Stauraum entspricht ein verstärkter Angriff der Wassermassen unterhalb einer Staumauer auf die Flxußsohle: Es ist klar, daß das in einem unverbauten Fluß sich bewegende und ihm dauernd nachgeschobene Schottermaterial die Sohle dieses Flusses weitgehend vor dem eintiefenden Angriff des Wassers abschirmt. Fehlt das Schottermaterial, so fehlt die schützende Schicht zwischen gewachsenem Talboden und Wasser. Wie auf der Hand liegt, ist die Flußstrecke unterhalb der letzten Staumauer einer Staukette im besonderen Maße gefährdet.
Der eben skizzierte Fall droht an der Enns mit dem Bau des untersten Kraftwerkes "Hiesendorf ? St. Pantaleon" noch kompliziert zu werden dadurch, daß die Turbinen nicht in die Staumauer eingebaut werden sollen, sondern dafl die Enns in einem Kanal weggeleitet werden wird. Um Gefälle zu gewinnen, wird das Kraftwerk einige Kilometer unterhalb der natürlichen Ennsmündung in die Donau gebaut werden.
Die Sperrmauer wird bei Hiesendorf errichtet werden, rund 1 km oberhalb der Brücke, die bei der schönen, malerischen Stadt Enns den Fluß überspannt. Die Strecke von der Sperrmauer bis zur natürlichen Mündung der Enns in die Donau ist rund 8 km lang.
Vom reinen Interessenstandpunkt der Enns kraftwerke her wäre es am besten, wenn auf die sich entwickelnden Verhältnisse im Ennsbett unterhalb der Staumauer überhaupt keine Rücksicht genommen zu werden brauchte. Dies hiefle vor allem, daß zu den Zeiten, zu welchen die Enns weniger Wasser führt, als dem Schluckvermögen der Turbinen entspricht, alles Ennswasser dem Werkskanal zugeleitet werden könnte..
Welche zusätzlichen besonderen Folgen würde ein solches Vorgehen, nämlich die zeitweilige Trockenlegung des Ennsbeites, haben? Sie sind vielfältiger Art, und wir können an dieser Stelle die meisten nur mit den sie kennzeichnenden Begriffen anführen; ausführlich wird jedoch auf die Belange der Fischerei eingegangen werden.')
Die Trockenlegungeines groflen Fluflbeffes bringt unweigerlich ein sich seitwärts weithin erstreckendes Absinken des Grundwasserspiegels des angrenzenden Landes mit sich. Im Gefolge davon können Wälder verdorren, Brunnen versiegen, fruchtbares Ackerland zu Heide und Steppe werden. Die Seelenkraft spendende Bezauberung, die von der lebendigen Welle ausging, ist dahin; statt dessen erregt das leere, verwahrlost wirkende Fluflbett Gefühle des Grauens und der Trostlosigkeit.
Im Winter muß mit Ausfrieren des Flußbodens und Grundeisbildung gerechnet werden. Stürzen die Frühjahrshochwässer auf den so gelockerten Talboden, so ist neben Uferabbrüchen die rasche Tieferlegung des Flußbettes, welche die im vorausgegangenen Absatz genannten Gefahren verschärft, eine sichere Folge.
Wir können uns an dieser Stelle nicht eingehender mit diesen vor allem die Land? und Forstwirtschaft tangierenden Problemen befassen, sondern müssen uns der Frage der Einwirkung von Wasserhaushaltsänderungen auf die Fischerei zuwenden, wie sie der Bau von Kanalkraftwerken mit sich bringt. Diese, Betrachtung wird zwar allgemeinen Charakter tragen, sie wird aber gleichzeitig den Fall des geplanten Ennskraftwerkes Hiesendorf St. Pantaleon als konkretes Beispiel behandeln.
III
Wie verschieden auch immer die speziellen Verhältnisse bei verschiedenen Kanalkraftwerken sein mögen, im Prinzip gleich sind sie bei allen insofern, als die Wasserführung im Flußbett unterhalb der Sperrmauer sehr stark schwankt, Dämlich praktisch von Null bei Nieder? bis Mittelwasser bis zu "soviel wie ehemals" bei Hochwasser.
Im Falle des Kanalkraftwerkes St. Pantaleon wird das Ennsbett unter halb der Staumauer nun nicht nur bei "überwasser" beschickt sein, sondern an j e d e m Wochenende, weil zu dieser Zeit der Strombedarf plötzlich
absinkt und Turbinen und Dynamos ruhen. Man kann sich leicht vorstellen, wie die Fische auf diesen künstlichen hydrographischen Rhythmus reagieren werden: Während des Wochenendes, wenn die Enns bis hinunter zur Donau
normal Wasser führt, werden Fische aus dem Hauptstrom aufsteigen; werden dann die Schützen wieder geschlossen, so wird das Wasser in der Enns plötzlich scharf zurückfallen, und die aufsteigenden Fische werden entweder in zurückbleibenden Tümpeln abgeschnitten werden und schließlich er sticken oder unmittelbar aufs Trockene zu liegen kommen. Sicher nun wer den sich für die toten Fische Abnehmer finden, insbesondere auch aus der
Vogelwelt; es _könnte dieser Fall aber auch für die Hygiene interessant werden. Für die Fischerei muli man die verheerendsten Folgen befürchten, denn es wird ? wie ohne weiteres einleuchtet ? an der Fischerei so wesent
lieh mehr Schaden angerichtet werden, als der Zerstörung des Ertrags vermögens der zur Debatte stehenden Ennsstrecke selbst entspricht.
Was könnte nun geschehen, um all den Übeln zu begegnen, die das zeitweise Trockenfallenlassen und Wiederbeschicken eines Flußbettes mit sich bringt? Unser Vorschlag geht dahin, den Wasserspiegel der Enns unterhalb der Staumauer bis hinunter zur Mündung in die Donau auf Mittelwasserhöhe zu erhalten, auch zu Zeiten, zu welchen wenig Wasser zur Verfügung steht, indem Querschwellen in das Flußbeit eingebaut werden. So würde nicht nur das Antlitz der Landschaft erhalten bleiben, es würden auch alle der Fischerei und der Land? und Forstwirtschaft drohenden Gefahren gebannt sein.
Was die Restwassermenge anlangt, die dem alten Ennsbett nach dem Bau des Kanals belassen werden soll, so war bei den Verhandlungen von Mengen bis zu 20cbm/Sekunde die Rede. Die Belassung einer so hohen Quote (auch der halben!) wurde seitens der Ennskraftwerke als untragbar bezeichnet. Von ihrem Standpunkt aus sicher mit Recht, bedeutet doch jeder Kubikmeter Wasser, der nicht über die Turbinen bei St. Pantaleon läuft, einen Leistungsverlust von rund 200 PS, mithin eine Erzeugungsverminderung von fast 4000 Kilowatistunden pro Tag.
Wenn man sich entschlösse, die Sohlschwellen zu bauen, so könnte ?jedenfalls seitens der Fischerei und meines Erachtens auch seitens der Hygiene ? auf das Restwasser weitgehend verzichtet werden. Es müßte dem alten Ennsbett nur soviel Wasser zugeführt werden, daß der Mittelwasserspiegel der drei oder vier hintereinanderliegenden Flachstaue dauernd erhalten bliebe.
Die einzelnen Flachstaue werden voraussichtlich einen Inhalt von etwa 500.000 cbm haben. Wahrscheinlich würde die Zuführung von 1 cbm Wasser pro Sekunde, das heißt, rund 100.000 cbm pro Tag, leicht hinreichen, den Mittelwasserspiegel zu erhalten. Seitens der Ennskraftwerke ist geplant, für den Eigenbedarf in die Sperrmauer bei Hiesendorf eine kleine Kraftanlage einzubauen, welche 4 cbm/sek. verbrauchen wird. Angeblich soll diese Anlage d a u e r n d betrieben werden, so daß dem alten Ennsbett auch dauernd 4 cbm/sek. Wasser zugeführt würdeD. Träfe dies zu, so würde der Wasserinhalt der Flachstaue, die hinsichtlich ihrer Produktionsverhältnisse grofien Fischteichen gleichzusetzen sind, täglich einmal erneuert werden. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, dafl die Flachstaue die Abwässer der Stadt Enns spielend verarbeiten würden, ja daß diese wesentlich zur Steigerung der fischereilichen Fruchtbarkeit der Staue beitrügen, die ? auch das kann man sicher vorhersagen -ziemlich hoch sein würde, jedenfalls ganz wesentlich höher, als sie im ursprünglichen Fluß selbst war. Würden hingegen die Querschwellen nicht errichtet werden, so blieben die 4 cbm/sec Restwasser für die Fischerei ohne nennenswerte Bedeutung: sie wäre auch dann als vernichtet anzusehen.
Der Bau jedes Kraftwerkes muß mit den natürlichen Gegebenheiten eines Flußtales rechnen. Es müssen grofie Summen ausgegeben werden für die Befestigung der Ufer, für Entschädigungen, für die Sicherung bestehender baulicher Anlagen usw. Dieser Teil der Aufwendungen wird vom Kraftwerksbau als genau so notwendig und unvermeidlich hingenommen wie die Aufwendungen, die für die Wehr- und Maschinenanlagen selbst gemacht werden müssen. Es ist nicht einzusehen, weshalb ihm nicht genau so gut die Erhaltung der Werte der unterhalb einer Staumauer liegenden Flufßstrecke auferlegt werden sollte. Man kann solche Forderungen mit umso größerem Recht und Nachdruck vertreten, wenn man Vorschläge, wie irn vorliegenden Fall, zu bieten hat, die geeignet erscheinen, den Kraftwerkshatt vor endlosen Schadensnachforderungen zu schützen. Sicher auch würden die Ennskraftwerke mit einer für sie günstigeren "Auflage" hinsichtlich der "Restwasser"?menge wegkommen: jeder ihnen zusätzlich belassene Sekundenkubikmeter -und um einige würde es sich schon handeln! - bedeutet aber eine Jahresmehrerzeugung von etwa einer Million Kilowattstunden! Im übrigen: Schäden zu vermeiden oder, wenn möglich, statt Schaden anzurichten, Werte vermehrend zu wirken, sollte oberstes Anliegen aller derer sein, die Verantwortung für das Ganze tragen.